Pressemitteilung-Detail

Zukunft der Landwirtschaft: nachhaltig und fair
Agrarforum 2024 zum Thema „Landwirtschaft in Deutschland – gesellschaftliche Diskussion, politische Vorgaben und Realität“
Soest. Landwirtschaft – die Branche ist in Bewegung. Gesellschaftliche Anforderungen, politische Vorgaben und reale Bedingungen fordern Landwirt*innen Flexibilität und besonnenes Handeln ab, wollen sie ihre Betriebe zukunftsfähig betreiben. Impulse aus Wissenschaft und Praxis gab es für die Gäste aus Agribusiness, Politik und Gesellschaft traditionell zum Jahresbeginn beim 35. Soester Agrarforum. Ausrichter sind der Fachbereich Agrarwirtschaft der Fachhochschule Südwestfalen und die Susatia als Verband der Studierenden und ehemaligen Studierenden.
„Die Wissenschaftsfreiheit geht einher mit einer politischen Neutralität. Höchstes Gut des Fachbereichs und der Fachhochschule Südwestfalen ist die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit, die sich vor allem dadurch speist, dass Aussagen von uns wissenschaftlich fundiert und somit haltbar sein müssen“, begründete Prof. Dr. Marc Boelhauve, Dekan des Fachbereichs Agrarwirtschaft, zu Beginn die Entscheidung, das gesetzte Leitthema nicht kurzfristig zugunsten aktueller Ereignisse zu ändern. Das Jahr 2023 stand für die Landwirtschaft erneut im Zeichen gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen mit hohem Komplexitätsgrad. Dazu zählten etwa die Umstellung der Tierhaltung auf mehr Tierwohl, die anhaltende Diskussion über eine Reduktion von Pflanzenschutzanwendungen oder gesellschaftliche Forderungen nach einer Verringerung von Treibhausgas-Emissionen, nach Schutz und Erhalt von Biodiversität, nach einer Steigerung von Energie- und Ressourceneffizienz und viel mehr. „Das wissenschaftlich fundierte Fazit daraus ist, dass eine hohe Lebensmittelqualität und -verfügbarkeit aus regionaler, nachhaltiger Produktion auch nur mit einem guten Einkommen bzw. mit fairen Löhnen für die produzierenden Personen und Unternehmen einhergehen kann“, schickte der Dekan voraus.
Für Dr. Martin Berges, Staatssekretär im Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, ist der Dreiklang von gesellschaftlichem Anspruch, politischen Vorgaben und Realität inklusive implizierter Interessenskonflikte aktueller denn je. Ihm mangele es an Perspektiven und Planungssicherheit für die Landwirtschaft sowie an der Bereitschaft zum Dialog. Ordnungsrechtliche Maßnahmen seien nicht das richtige Mittel auf der Suche nach Kompromissen, mit denen alle Player mitgehen können. Vielmehr seien Instrumente wie Beratung, Unterstützung oder Anreizsysteme gefragt, um den Wandel in einem partnerschaftlichen und fairen Dialog zwischen Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik fundiert und souverän voranzutreiben.
Traditionell wird im Rahmen des Agrarforums der mit 1.000 Euro dotierte Soester Agrarpreis verliehen. Damit zeichnet die Susatia Studierende aus, die ihr Studium der Agrarwirtschaft in Regelstudienzeit, mit überdurchschnittlich guten Noten abgeschlossen und sich darüber hinaus in der studentischen Gemeinschaft engagiert haben. Der Preis geht in diesem Jahr an Vincent von Agris aus Goch im Kreis Kleve. Der 23-Jährige hat sein Bachelorstudium der Agrarwirtschaft an der FH mit der Note 1,2 abgeschlossen und studiert jetzt im Master. Zuvor absolvierte er seine berufliche Ausbildung zum Landwirt mit besonderem Erfolg. Gemeinsam mit Vater Klaus von Agris leitet er parallel zum Studium den Biolandhof der Familie. Als Student hat er sich in Fachschaft und als Semestersprecher engagiert, darüber hinaus ist er beratend und als Referent für verschiedenen Themenbereiche aktiv und leistet Öffentlichkeitsarbeit als AgrarScout beim Forum Moderne Landwirtschaft. Getreu der Philosophie des Familienbetriebs „Klasse statt Masse!“, sieht er seine persönlichen Schwerpunkte in der praktischen Landwirtschaft, im Ackerbau und in der Direktvermarktung (bio und konventionell) und möchte sein Wissen auch in Zukunft in beratender und ausbildender Funktion weitergeben. Als junger Agraringenieur blickt er zwar mit gemischten Gefühlen, aber dennoch positiv optimistisch in die Zukunft: „Wir haben in den vergangenen Tagen und auch hier beim Agrarforum gesehen, in welch starker Gemeinschaft Landwirtschaft auftreten kann. Wir arbeiten unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und sitzen doch alle in einem Boot. Der Preis ist für mich Ermutigung und Ansporn zugleich, diesen guten und wichtigen Weg gemeinsam weiterzugehen.“
Herzstück des Agrarforums sind Fachvorträge zu wissenschaftlich und gesellschaftlich aktuell relevanten Themen. Die Versorgung der Bevölkerung mit gesunden und bezahlbaren Lebensmitteln zählt zu den zentralen Herausforderungen für die Landwirtschaft. So referierte Prof. Dr. Britta Renner, Professorin für Psychologische Diagnostik und Gesundheitspsychologie an der Universität Konstanz, zum Thema „Einflüsse auf das Ernährungsverhalten – warum wir faire Ernährungsumgebungen brauchen“. Das Ernährungsverhalten, welche Lebensmittel konsumiert werden, sei nicht nur das Ergebnis von bewussten und reflektierten Entscheidungen, so die Forscherin. Viele Verbraucher*innen scheitern an dem Vorhaben, sich nachhaltiger und gesünder zu ernähren. Sie plädiert für die Gestaltung einer fairen Ernährungsumgebung, die – unterstützt durch politisch durchdachte Instrumente, verlässliche, transparente Informationen, Werbebeschränkungen und entsprechende Preisanreize – abgestimmt auf Wahrnehmungs- und Verhaltensmöglichkeiten von Verbraucher*innen, mehr und leichtere Wahlmöglichkeiten für eine nachhaltigere Ernährung bietet.
Prof. Dr. Mechthild Freitag, Professorin für Tierproduktion an der FH, skizzierte das Dilemma der Nutztierhaltung in Deutschland. Während auf der einen Seite gesellschaftliche Forderungen nach mehr Tierwohl und mehr Umwelt- und Klimaschutz bei gleichzeitig größtenteils kleinstrukturierter Landwirtschaft stehen, lasse der Ruf auf Verbraucher*innenseite nach preiswerten Nahrungsmitteln von hoher Qualität nicht nach.
Prof. Dr. Tanja Schäfer, Professorin für Pflanzenbau mit Schwerpunkt auf nachhaltigen Anbausystemen, legte in ihrem Beitrag den Fokus auf die relevanten Punkte des GAP-Strategieplans (GAP = Gemeinsame Agrarpolitik der EU) für den Bereich Pflanzenbau. Dazu zählen die nachhaltige Entwicklung und effiziente Nutzung von Ressourcen, der Natur- und Landschaftsschutz, der Klimaschutz sowie Anpassung an den Klimawandel, außerdem die gesellschaftlichen Erwartungen an Ernährung und Gesundheit.